Grüner Wasserstoff als Grundpfeiler des globalen Energiesystems

Von Werner Diwald, Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband e.V.

Klimaschutz, Versorgungssicherheit und die Sicherung des Wohlstandes in Deutschland und der Europäischen Union sind nur mit Wasserstoff zu erreichen, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wird. Um die notwendige Defossilisierung und die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu realisieren, muss die Politik jetzt regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, die einen schnellen Hochlauf einer grünen Wasserstoff-Marktwirtschaft ermöglichen.

Der europäische Konsens und die deutschen Ambitionen für eine Klimaneutralität bis 2045 sind der richtige Schritt in ein defossilisiertes versorgungssicheres Energiesystem. Im Zuge des kriegerischen Überfalls auf die Ukraine sind neben dem Klimaschutz die Themen Versorgungssicherheit und Diversifizierung der Energieimporte zu einem Schlüsselaspekt der anstehenden Energiewende geworden. Um der Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen überall auf der Welt gerecht zu werden, müssen Deutschland und die Europäische Union dafür sorgen, dass Klimaschutz und der Zugang zu erneuerbarer Energie in allen Sektoren so schnell wie möglich und wettbewerblich fair ermöglicht wird.

Technologie und Bereitschaft sind auf Seiten der Industrie vorhanden – jetzt muss die Politik die Chance nutzen und ihrer Verantwortung gerecht werden. Jetzt müssen die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Hochlauf einer Wasserstoff-Marktwirtschaft geschaffen werden. Die Bundesregierung muss die notwendige Investitionssicherheit in eine erneuerbare, wirtschaftliche und sichere Energieversorgung schaffen. Das heutige Erneuerbare-Energien-Gesetz ist nicht nur eine globale Erfolgsstory. Es ist die Blaupause für den Hochlauf der Brennstoffzellen- und Wasserstoff-Industrie und -Wirtschaft. Das „H2Global“-Konzept basiert genau auf diesen Erfahrungen. Es muss nun umgehend auf alle Anwendungen und vor allem auf die deutsche grüne Wasserstoff-Produktion übertragen werden.

Grüner Wasserstoff und erneuerbare Energien als Grundpfeiler des Energiesystems

Nachhaltiger Klimaschutz wird – zumindest im Rahmen des Energiesystems – nur durch die Abkehr von fossilen Energieträgern möglich sein. Um einen Beitrag leisten zu können, muss das globale Energiesystem auf erneuerbaren Energien gebaut sein. Ist die Effektivität der Stromerzeugung maßgeblich an geographische und klimatische Bedingungen geknüpft, kann grüner Wasserstoff ortsunabhängig erzeugt, gespeichert und eingesetzt werden. Durch seine Transport- und Speicherfähigkeit kann grüner Wasserstoff wesentlich unabhängiger von Ort und Zeit genutzt werden. Damit verbindet grüner Wasserstoff die Anforderungen der modernen Industrie-Gesellschaft an eine sichere Energieversorgung mit den witterungsbedingten Eigenschaften einer erneuerbaren Energieerzeugung.

Die Modellierung im Rahmen des Projekts „Systemvision2050“ hat gezeigt, dass Brennstoffzellen und Gaskraftwerken, die über On- und Offshore- sowie Solar-Energie in Ergänzung mit grünem Wasserstoff betrieben werden, die Grundpfeiler einer versorgungssicheren und klimaneutralen Stromerzeugung sind. Die Modellierung ergab zudem, dass sich der Strombedarf im Vergleich zum Referenzjahr 2020 aufgrund der branchenübergreifenden Umstellung auf direkte oder indirekte Stromnutzung von etwa 550 Terawattstunden (TWh) auf etwa 1380 TWh pro Jahr in 2045 fast verdreifachen wird. Der gestiegene Bedarf an Strom wird durch den Ausbau der volatilen Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien den Import von gespeichertem grünen Wasserstoff ohne Frage notwendig machen. Hierfür muss der Ausbau der Infrastruktur schnell und zielgerichtet vorangetrieben werden. Stromerzeugung, Wasserstoffproduktion, Transport- und Verteilnetze sowie Wasserstoffspeicher müssen gemeinsam gedacht und aufgebaut werden.

Wasserstoff: Treiber einer europäischen Energieunion

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Modellierung ist der Bedarf an grünem Wasserstoff von mehr als 950 TWh pro Jahr. Die Stromnachfrage wird kontinuierlich steigen – auch unabhängig von der inländischen Wasserstoff-Produktion. Ein großer Teil des Bedarfs an grünem Wasserstoff und dessen Derivaten wird durch Importe aus dem Ausland bedient werden müssen. Die größten Treiber der Nachfrage sind unter anderem die Industrie, Raffinerien, Brennstoffzellen im Verkehr sowie Brennstoffzellen-Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Gaskraftwerke-KWK, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Die benötigten Mengen an grünem Wasserstoff und dessen Derivaten bieten aber auch die Chance, eine neue wirtschaftlich prosperierende europäische Energieunion zu formen. Länder und Regionen mit günstigen Bedingungen für die Produktion von erneuerbaren Energien – allen voran Süd- und Südosteuropa sowie Nordafrika – sollten als Partner für die Energieversorgung Deutschlands und der EU massiv unterstützt werden. Der Export von Anlagen und Technologien sowie die Einbeziehung der Länder Süd- und Südosteuropas sowie Nord- und Westafrikas in eine globale Wertschöpfung bieten große wirtschaftliche und geopolitische Chancen. Eine gemeinsame Import-Infrastruktur und Ausrichtung der europäischen Energiepolitik auf grünen Wasserstoff sorgen für die Stärkung des Binnenmarktes und der geopolitischen Bedeutung der EU und seiner Mitgliedsstaaten.

Damit die in 2024/2025 benötigten grünen Wasserstoffmengen aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen, schlägt der DWV der Bundesregierung ein Sprinterprogramm „H2Global4Europe“ vor. Dieses sieht die Förderung in Deutschland von drei Gigawatt (GW) – zwei GW Windenergie auf See und ein GW erneuerbare Energien an Land) – und zwei GW für Süd- und Südosteuropa (etwa in Bulgarien, Griechenland und Rumänien) nach dem Vorbild von H2Global vor. H2Global ist angelehnt an das Grundprinzip der „Contracts for Difference“. Es ist ein von der EU rechtlich geprüftes Instrument, das unter den gegebenen Bedingungen sehr kurzfristig auf den deutschen und europäischen Markt angepasst werden kann. Eine Übertragung des H2Global-Fördermechanismus auf Deutschland in Kooperation mit Süd- und Südosteuropa wird einen wesentlichen Beitrag zur Diversifizierung des Energiesektors und der Energieunabhängigkeit leisten. Damit fördert das „H2Global4Europe“-Programm den Ausbau der Energiepartnerschaften, die Import-Diversifizierung und den europäischen Gemeinschaftsgedanken.

Regulatorische Rahmenbedingungen für eine grüne Wasserstoff-Marktwirtschaft

Die Systemvision des DWV hat gezeigt, vor welcher Herkulesaufgabe die Industrie steht. Beschaffung, Produktion, Infrastruktur und Output sind zukünftig klimaneutral zu gestalten. Hierfür müssen jetzt Investitionen getätigt werden, die für die nächste 50 Jahre relevant sind. Entscheider und Entscheiderinnen aus der Wirtschaft müssen jetzt über Investitionen in Milliardenhöhe entscheiden.

Die EU benötigt bis 2030 mehr als 20 Millionen Tonnen an grünem Wasserstoff, um sich von dem russischen Energiediktat lösen zu können. Dafür müssen mehr als 200 GW an Elektrolyseleistung und mehr als 300 GW an erneuerbaren Energien innerhalb von knapp zehn Jahren installiert werden. Damit dieses nach dem Grundprinzip einer sozialen europäischen Marktwirtschaft mit der notwendigen Investitionssicherheit gelingen kann, müssen sowohl der „Delegated Act“ der Renewable Energy Directive II (REDII) als auch die Novellierung der RED II schneller und ambitionierter für alle Sektoren umgesetzt werden. Daneben muss die nationale Umsetzung der gesetzlichen europäischen Regulierungen ohne jeglichen Zeitverzug realisiert werden.

Mit dem erforderlichen Hochlauf einer deutschen und europäischen grünen Wasserstoff-Marktwirtschaft ergibt sich eine enorme wirtschaftliche Chance für Deutschland und Europa. Damit dieses Potenzial im Sinne der deutschen und europäischen Industriepolitik erschlossen werden kann, bedarf es weitsichtiger regulatorischer Rahmenbedingungen. Deutschland – als wirtschaftlich stärkster Mitgliedsstaat der EU – sollte auf Basis seiner Erfahrungen im Aufbau der erneuerbaren Stromerzeugung dem Technologie- und Markthochlauf der deutschen und europäischen Wasserstoffwirtschaft mit einem Sofortprogramm einen starken Impuls geben.

Appell an die Politik

Die Anforderungen an die Energieversorgung sind heute so komplex wie nie zuvor. Der Anspruch, unsere Energieversorgung sicher, klimaneutral und bezahlbar zu gestalten, stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor riesige Herausforderungen. Die Warnungen des IPCC, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Turbulenzen an den Energiemärkten machen ein sofortiges Handeln der Politik notwendig.

Verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen, Förderprogramme und ein klares Bekenntnis auf allen Ebenen zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind jetzt notwendig. Wenn wir die Klimaziele der EU erreichen, die Versorgungssicherheit in Deutschland sichern und die Chancen eines globalen Wasserstoff-Marktes ergreifen wollen, muss die Politik schnell, ambitioniert und mutig handeln. Die Politik hat es in der Hand, der Wirtschaft ein Investitionspotenzial von mehr als 500 Milliarden Euro zu eröffnen, verbunden mit mehr als fünf Millionen neuen Jobs.

Die Systemvision des DWV zeigt ganz klar: Deutschland ist dazu in der Lage, eine klimaneutrale und sichere Energieversorgung zu realisieren. Grüner Wasserstoff wird dabei unverzichtbar sein. Nutzen wir unsere Chance und schaffen schnell, ambitioniert und verlässlich die Voraussetzungen für eine grüne Wasserstoff-Marktwirtschaft!

Erste Kernannahme

Der Bedarf für grünen Wasserstoff wird sich im ersten klimaneutralen Jahr auf rund 880 TWh belaufen, wovon rund 15 Prozent des Bedarfs durch heimische Elektrolyse bereitgestellt wird und rund 75 Prozent importiert werden.

Zweite Kernannahme

Der Strombedarf wird bei rund 1252 TWh liegen, der zu fast drei Viertel über Wind- und Solarenergie erzeugt wird. Auch KWK-Brennstoffzellen und Gaskraftwerke, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden, leisten signifikante Beiträge zur Stromerzeugung.

Dritte Kernannahme

Brennstoffzellen werden einen wichtigen Beitrag zur Strom- und Wärmeerzeugung leisten. Für den Wärmemarkt wird sich eine Nachfrage von 901 TWh entwickeln.

Der Autor:

Werner Diwald

  • Geboren am 12. November 1966 in Essen
  • Studium zum Technischen Diplomkaufmann an der Fachhochschule Hamburg
  • 2000 bis 2008 Prokurist/Projektleitung Uckerwerk Energietechnik GmbH/ENERTRAG AG
  • 2001 bis 2016 geschäftsführender Gesellschafter der ENERTRAG Systemtechnik GmbH
  • 2008 bis 2013 Vorstand der ENERTRAG AG, führender Projektentwickler und Betreiber von Windparks und Hybridkraftwerken, Herr Diwald war verantwortlich für die internationale Projektentwicklung und den Aufbau der Wind-Wasserstoffaktivitäten der Unternehmensgruppe sowie der Gründung eines Elektrolyseherstellers
  • seit 2013 geschäftsführender Gesellschafter der PtXSolutions GmbH, ein Beratungsunternehmen rund um die Fragen der Energiepolitik und Systemintegration und Entwickler für PtX-Projekte
  • seit 2011 Sprecher der Initiative für Windwasserstoff (performing energy)
  • seit 2011 Mitglied der Bundesfachkommission Energie des deutschen Wirtschaftsrats
  • seit 2014 Vorstandsvorsitzender des DWV
  • 2016 - 2021 Vorstandsmitglied bei Hydrogen Europe

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