Windenergie zur Hauptsäule der Stromerzeugung machen.

Von Johanna Kardel, Stefan Thimm, Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore e.V. (BWO)

Deutschland steigt in den nächsten Jahren erst aus der Kernenergie und dann aus der Kohleverstromung aus. Als Ziel gilt mittlerweile die Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig ist klar, dass der Status einer Industrienation erhalten bleiben soll. Der Wandel darf daher nicht zu Lasten der Versorgungssicherheit gehen. Diesen Pfad weiter zu bestreiten, wird daher die Hauptaufgabe der nächsten Regierung. Wir haben im Rahmen der Systemvision 2050 von Amprion drei Thesen getestet, die die Grundlage der Planungen werden müssen.

Nachfrage nach grünem Strom steigt

Die Stimmen häufen sich, dass die Annahmen der Bundesregierung eines sinkenden Stromverbrauchs nicht praxistauglich sind. Fakt ist, dass die zur Dekarbonisierung notwendige Elektrifizierung der Sektoren Wärme und Verkehr – selbst bei enormen Effizienzfortschritten – einen deutlich höheren Stromverbrauch zur Folge haben wird.

Die Modellierung unserer Systemvision hat eine Verdopplung der Gesamtstromnachfrage im Vergleich zu heute ergeben – und das, obwohl wir Effizienzgewinne angenommen haben, von denen wir heute nur träumen können. Im Ergebnis beträgt nach unserer Modellierung die Gesamtstromnachfrage 1.035 TWh im Jahr 2050.

Zur besseren Veranschaulichung: Im Jahr 2020 lag der Bruttoinlandsstromverbrauch bei 551,3 TWh [AGEB 2020]. Der große Anteil der Stromnachfrage kommt in unserem Modell von der Industrie, Power-to-Heat-Anwendungen wie Elektroheizern und Wärmepumpen. Aber: Selbst bei einem ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien wird klar, dass das allein hierzulande nicht gestemmt werden kann. Deutschland wird von einem Strom-Exporteur zu einem Netto-Importeur von Strom werden.

Erste Kernannahme

Im Jahr 2050 sind insgesamt 70 GW Offshore-Wind installiert – davon 10 GW zur direkten Nutzung für Elektrolyse auf hoher See.

Zweite Kernannahme

Windenergie onshore und offshore werden zu den Hauptsäulen der Energiewende: Es sind 150 GW Onshore-Wind (heute 54 GW) installiert, was zusammen mit Wind offshore (70 GW) eine Gesamtkapazität von 220 GW für die Windenergie on- und offshore bedeutet. Als weiterer wichtiger Pfeiler bei den Erneuerbaren kommen 126 GW Photovoltaik auf den Dächern und 60 GW Photovoltaik in der freien Fläche hinzu (heute zusammen 51 GW).

Dritte Kernannahme

Die Wasserstoffnachfrage könnte bis 2050 auf 376 TWh ansteigen. Davon würden 318 TWh des benötigten Wasserstoffs als grüner Wasserstoff importiert werden.

Windenergie offshore und onshore müssen die Hauptsäulen der Energiewende werden

Dank der hohen Volllaststunden ist Offshore-Wind gut geeignet, große Mengen an grünem Strom zu produzieren. Wir haben daher für unser Modell eine größere, aber realistische Menge Offshore-Wind angenommen. Wir gehen davon aus, dass 70 GW Offshore in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) oder im Nahbereich der deutschen AWZ machbar wären. Was hilft: Davon sollen lediglich 60 GW direkt ans Stromnetz angeschlossen werden. 10 GW werden direkt zur Produktion von grünem Wasserstoff auf See geplant und erfordern daher keinen Netzanschluss. In unserer Modellierung erzeugt im Zieljahr die Windenergie auf See 263 TWh und die Windenergie an Land 319 TWh, Photovoltaik trägt mit 171 TWh Erzeugung bei. Zum Vergleich: In 2020 betrug die Erzeugung Wind onshore 103,66 TWh und Wind offshore 27,30 TWh in Deutschland [Statista 2021]. Die Gesamterzeugung für Deutschland beträgt im Zieljahr 977 TWh Strom.

Die Wasserstoffnachfrage wird nur teilweise aus heimischen Quellen bedient

Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein auf dem Pfad zur Klimaneutralität. Entscheidend ist: Wasserstoff ermöglicht es, auch die Bereiche zu dekarbonisieren, die sich nicht elektrifizieren lassen. Dazu zählen beispielsweise die Stahlindustrie, der Schwerlastverkehr oder der Flugverkehr, denn weder ein Stahlwerk noch ein Transatlantikflug lassen sich mittelfristig mit Strom betreiben.

In unserem Modell haben wir eine Wasserstoffnachfrage von insgesamt 376 TWh ermittelt. Die größten Nachfrager sind dabei die umgewandelten Gaskraftwerke („H2 ready“), die Industrie und Wasserstoffbrenner. Drei Viertel des Wasserstoffs (318 TWh) wird als grüner Wasserstoff importiert.

Die heimische Erzeugung stammt zum größten Teil aus den 10 GW Offshore zur Wasserstofferzeugung auf See (33 TWh), die keinen Anschluss an das öffentliche Netz haben und der „regulären“ Elektrolyse an Land.

Was bedeutet das für die nächste Bundesregierung?

Offshore first:

Die Raumordnung platziert Windenergie auf See aktuell überall dort, wo sich keine traditionellen Nutzer wie Rohstoffgewinnung, Fischfang oder Naturschutzgebiete befinden. Das wird auf Dauer nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen. Vielmehr sollte es darum gehen, alle Möglichkeiten des Offshore-Ausbaus zu prüfen und dabei auch traditionelle Nutzungen einzuschränken oder zumindest eine gemeinsame Nutzung zu prüfen. Auch kreative Lösungen sind gefragt. Denkbar wären beispielsweise insbesondere gemeinsame Offshore-Windprojekte mit den Nachbarländern zur Wasserstoffgewinnung auf See.

Ambitionierter EE-Ausbau in Europa:

Die steigende Stromnachfrage zeigt, dass so viel erneuerbare Energien (EE) wie möglich ausgebaut werden müssen – und das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Der europäische Rahmen muss daher ganz klar auf einen ambitionierten EE-Ausbau hinweisen. Der wachsende Strombedarf kann nur dann durch zusätzliche Importe gedeckt werden, wenn auch in den Nachbarländern entsprechend große Mengen grünen Stroms zur Verfügung stehen.

Grüner Wasserstoff:

Ohne grünen Wasserstoff kann die Klimaneutralität nicht gelingen. Nachdem jetzt mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Anfang gemacht wurde, gilt es, dieses Momentum zu behalten. Wir brauchen eine konsequente Unterstützung für den kontinuierlichen Markthochlauf der Erzeugung von grünem Wasserstoff. Wichtig ist, bei der Prognose der benötigten Mengen nicht die aktuelle Nachfrage, sondern vielmehr die künftige Nachfrage nach grünem Wasserstoff als Grundlage zu nehmen.

Die Autoren:

Johanna Kardel

Johanna Kardel arbeitet seit 2017 beim Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore e.V. (BWO) als Senior Managerin für Politik und Regulatorik und betreut in der Funktion unter anderem die Gremienarbeit des BWO in den Bereichen Recht und Politik. Davor war sie beim Verbraucherzentrale Bundesverband als Referentin im Team Energie und Bauen u.a. für die Bereiche Effizienz und Digitalisierung der Energiewende zuständig.

Stefan Thimm

Seit 2020 ist Stefan Thimm der Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore e.V. (BWO). Davor war er ca. 18 Jahre auf verschiedenen Positionen beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) tätig, wo er seit 2009 den Fachbereich Erneuerbare Energien verantwortete. Insbesondere beinhaltete diese Position die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zum Thema Strom aus Erneuerbaren Energien.

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