zusammEn 2040: Herausforderungen der Systemplanung in Österreich

Von: Thomas Karall, Kaufmännischer Vorstand, Austrian Power Grid AG

Das Ziel ist klar und eint die europäischen Netzbetreiber: Das Energiesystem muss bis Mitte dieses Jahrhunderts klimaneutral werden. Doch die Herausforderungen auf dem Weg dahin unterscheiden sich in den verschiedenen Regelzonen. Ein Einblick in die Systemplanung Österreichs.

Als unabhängiger österreichischer Übertragungsnetzbetreiber steuert und verantwortet Austrian Power Grid AG (APG) das überregionale Stromtransportnetz der Republik. Unsere Infrastruktur ist die Voraussetzung für eine nachhaltig sichere Stromversorgung, die Erreichung der Klima- und Energieziele sowie für die zunehmende Elektrifizierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie in ganz Österreich. Rund 600 Spezialistinnen und Spezialisten betreiben das APG-Netz, das sich auf einer Trassenlänge von etwa 3.400 km erstreckt, halten es instand und passen es laufend den steigenden Anforderungen seitens Wirtschaft und Gesellschaft an. Gleichzeitig entwickeln unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die geeigneten Produkte für einen liquiden, transparenten und diskriminierungsfreien Strommarkt – über die Grenzen Österreichs hinaus, in einem europäischen Kontext.

Die Zukunft modellieren

Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber arbeiten eng zusammen und tauschen sich kontinuierlich aus. Im Bereich der Systementwicklung haben wir daher mit großem Interesse das von Amprion initiierte Projekt der Systemvision 2050 verfolgt. Seine Modellierungskompetenz unterschiedlichsten Playern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugänglich zu machen, um deren Sicht auf den Weg zur „Netto Null“ darzustellen – das steuert wichtige Impulse zum öffentlichen Diskurs bei. Wie das dekarbonisierte Energiesystem konkret ausgestaltet werden kann und soll, ist eine der brennendsten Fragen unserer Zeit. Die Weichen für 2040 müssen jetzt gestellt werden. Als Übertragungsnetzbetreiber Know-how und Modellierungs-Expertise dafür zur Verfügung stellen – inwiefern wir diese Idee auch in Österreich umsetzten können, daran arbeiten wir aktuell. Dafür entwickeln wir unsere Energiesystemmodellierung weiter. Sie bündelt bisher unter anderem die Bereiche Markt- und Asset-Management. Unsere Modellumgebung unterscheidet sich von der bei Amprion, und zwar insofern, dass APG auf das etablierte Open Source Modell PyPSA-Eur-Sec als Basis setzt, während bei Amprion eine vollständige Eigenentwicklung zum Einsatz kommt. Bei APG entwickeln wir gerade Ansätze, wie unsere Modellumgebung einerseits die notwendige Präzision und andererseits eine hinreichende Performance gewährleisten kann, um internen und externen Stakeholdern einen entsprechenden Mehrwert zu bieten. Hierzu sind die Experten der beiden Übertragungsnetzbetreiber in enger Abstimmung.

Strukturelle und energiepolitische Unterschiede

Neben einem anderslautenden Modellierungsansatz müssen zudem auch strukturelle und energiepolitische Unterschiede zwischen den Energiesektoren in Deutschland und Österreich im Modell berücksichtigt werden. Ein Aspekt betrifft die Netztopologie: Auf der einen Seite sind das Hoch- und Höchstspannungsnetz innerhalb Österreichs sowie die verschiedenen Spannungsebenen untereinander weniger stark vermascht als in Deutschland. Auf der anderen Seite spielen hierzulande aufgrund unserer geographischen Lage in der zentral-europäischen Synchronzone internationale Kuppelstellen eine besonders wichtige Rolle. Die Abbildung dieser internationalen Abhängigkeiten ist in unserem Modell daher zentral. Darüber hinaus unterscheidet sich auch die Zusammensetzung der aktuellen und möglichen Erzeugungstechnologien: Offshore Windkraftwerke sowie Kernkraft spielen im österreichischen Modell keine Rolle. Wohingegen der Wasserkraft, im Speziellen auch Pumpspeicherkraftwerken sowie der Photovoltaik – wiederum aufgrund der geographischen Lage – im Vergleich zu Deutschland besondere Aufmerksamkeit zuteilwird.

zusammEn 2040 – eine Systemvision für Österreich

Aktuell arbeiten wir daran das gesamte österreichische Energiesystem modellhaft abzubilden. Dabei wird explizit die Kopplung der Strom- und Gassektoren berücksichtigt sowie in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Experten die entsprechende Datenbasis und Modellstruktur erarbeitet. Bis zum Ende des dritten Quartals 2022 sollen diese Arbeiten erledigt sein und die Energiesystemmodellierung in die Testphase übergehen. In dieser Phase sollen auch erstmals externe Partner etwa aus Industrie und Interessensvertretungen eingebunden werden, um erste Systemvisionen für Österreich zu entwickeln. Nach Vorbild des Projekts „Systemvision 2050“ von Amprion soll die Modellierungskompetenz von APG mittel- bis langfristig unter dem Namen zusammEn 2040 vielen weiteren interessierten Partnern zur Verfügung gestellt werden, um auch in Österreich gemeinsam fundierte Szenarien für die Zukunft zu entwickeln.

Die Kolleginnen und Kollegen bei APG und Amprion freuen sich auf die weitere Zusammenarbeit und einen Wissenstransfer rund um die Dekarbonisierung des Energiesystems. Wir alle sind uns einig, dass eine europäische Ausrichtung der gesamtheitlichen Systemplanung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die großen Herausforderungen einer klimaneutralen Zukunft können nur auf überregionaler Ebene gelöst werden. Amprion und APG haben hier bereits in einer Vielzahl an internationalen Kooperationen und gemeinsamen Projekten Erfahrung gesammelt. Als international hervorragend – im wahrsten Sinne des Wortes – vernetzte Unternehmen wollen wir diese Erfahrung nutzen. Für das Gelingen der Energiewende. Für Österreich und Deutschland. Für Europa.

Der Autor:

Foto: APG, Rudi Fröse

Mag. Thomas Karall

Thomas Karall, seit 2001 Kaufmännischer APG-Vorstand, kann auf eine stabile und positive wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens zurückblicken. In seinen internationalen Funktionen, seit 2014 ist er unter anderem Board-Mitglied in diversesten Funktionen in der ENTSO-E (Vereinigung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber), hat er die Interessen der österreichischen E-Wirtschaft auf europäischer Ebene vertreten und war an wichtigen strategischen Weichenstellungen (etwa in der Ausgestaltung des neuen Rechtsrahmens für den liberalisierten Strommarkt) beteiligt. Darüber hinaus ist er unter anderem Mitglied des Aufsichtsrates von EPEX SPOT SE (Paris) sowie Mitglied des Steering Commitee von Österreichs Energie.

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