Intersektorale Systemplanung Amprion

Von Oliver Levers, Miriam Sander, Miriam Behr, Niklas Berg, Lukas Beschow, Dr. Fabian Brinks, Dr. Jan Felinks, Marcel Gallus, Dr. Stefan Grisard, Lukas Groterhorst, Dr. Maike Hasselmann, Dr. Andre Hoffrichter, Alexander Lindner, Hendrik Ohlmeyer, Alexander Peitz, Chris Vertgewall, Dr. Nikita Vorobiev, Henry Hoffmann und Dr. Hendrik Natemeyer (Amprion GmbH)

Im Zuge der Dekarbonisierung des Energiesystems nehmen sektorenkoppelnde Komponenten wie Elektrolyseure und Power-to-Heat-Anlagen einen immer höheren Stellenwert ein. Durch diese Komponenten entstehen Wechselwirkungen zwischen den Sektoren, welche im Rahmen einer ganzheitlichen Systemplanung berücksichtigt werden müssen. Die Studie „Intersektorale Systemplanung Amprion“ untersucht sektorenübergreifend die Entwicklung des deutschen Energieversorgungssystems, wobei der Fokus auf der langfristigen Infrastrukturplanung liegt. Dabei dient das methodische Vorgehen des Netzentwicklungsplans Strom als Grundlage, welches um die Betrachtung der Sektoren Wasserstoff, Methan, Wärme, Synthetische Kraftstoffe und Kohlenstoffdioxid erweitert wird. Die Studie verfolgt dabei einen offenen Ansatz: Es sind alle Interessierten herzlich eingeladen zu einem inhaltlichen Austausch zu den hier und im detaillierten Hintergrundpapier der Studie vorgestellten Methoden, Szenarien und Ergebnissen.

Sektorenübergreifende Marktsimulation und detaillierte Analysen der Strom- und Gasnetze

In der Studie werden sektorenübergreifende Planungsszenarien entworfen und mittels des eigenentwickelten Tools LISA analysiert. LISA ermöglicht eine sektorenübergreifende Marktsimulation, die den Energieaustausch zwischen den Sektoren, den Einsatz von Speichern und interregionale Energieflüsse ermittelt. Auf Basis der Marktergebnisse werden detaillierte Netzanalysen der Transportinfrastrukturen für Strom, Erdgas und Wasserstoff durchgeführt. Zudem werden Analysen zur Bedarfsermittlung neuer Handelskapazitäten von Deutschland mit Anrainerstaaten durchgeführt, sektorenkoppelnde Zusammenhänge detailliert beleuchtet und annuitätische Gesamtsystemkosten analysiert.

Sektorenübergreifender Szenariotrichter als Basis intersektoraler Analysen

Szenariopfade:

  • A2045* | „Verzögerte Zielerreichung“
  • B2037/B2045 | „Referenz NEP + Sektorenkopplung“
  • C2045* | „Fehlende Systemkoordination“

Dabei werden drei Szenariopfade betrachtet: Der Szenariopfad B2037/B2045 beschreibt eine effiziente Transformation zu einem stark elektrifizierten Energiesystem, wobei der Wasserstoffbedarf durch Importe und inländische Erzeugung gedeckt wird. Er orientiert sich am Szenariopfad B des Szenariorahmenentwurfes für den Netzentwicklungsplan 2037/2045 (2025), ergänzt um Informationen zu den weiteren Sektoren. Das Szenario A2045* "Verzögerte Zielerreichung" sieht eine Verzögerung der Transformationsziele Deutschlands bis 2050 vor, wobei Technologien wie Carbon Capture und Wasserstoffkraftwerke eine bedeutende Rolle spielen, um trotzdem das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 zu erreichen. Das Szenario C2045* "Fehlende Systemkoordination" antizipiert einen Transformationspfad, der die heutigen Marktregeln fortschreibt und somit keine Anreize für die systemdienliche Verortung von neuen Anlagen liefert. Elektrolyseure werden beispielsweise anhand von weiteren Faktoren wie dem Abstand zum Wasserstoff-Kernnetz und der Möglichkeit der Verwertung der Abwärme in Fernwärmenetzen verortet. Dadurch entsteht eine deutlich erzeugungsfernere Allokation der Elektrolyseure als in den anderen Szenarien. Des Weiteren überschreitet die installierte Leistung der Erneuerbaren die politischen Ziele deutlich. Die Handelskapazitäten zwischen den europäischen Marktgebieten nehmen im Vergleich zum Szenariopfad B zu.

1. Kernergebnis

Die Verortung von Elektrolyseuren hat einen großen Einfluss auf die Belastung des Übertragungsnetzes in Deutschland. Vor dem Hintergrund von ambitionierten Klimaneutralitätsszenarien ist die Entwicklung von Anreizmechanismen für eine stromnetzdienliche Platzierung von Elektrolyseuren und deren Nutzung als Flexibilität im Redispatch notwendig. Gleichzeitig ist in der Planung des Stromtransportnetzes zu berücksichtigen, dass Elektrolyseure an akteursdienlichen Standorten entstehen, insbesondere in der Transitionsphase, in der das Wasserstoff-Kernnetz noch nicht vollständig verfügbar ist, der Wasserstoff aber bereits für bestimmte lokale (Industrie-)Prozesse benötigt wird.

2. Kernergebnis

Wasserstoffkraftwerke sind die stärksten Treiber für die Wasserstoff-Transportaufgabe im Jahr 2045 und damit für die Auslastung des Wasserstoffnetzes.

3. Kernergebnis

Die Leistungsfähigkeit der Wasserstoffspeicher bestimmt im Kontext der Wasserstoffversorgung maßgeblich die Versorgungssicherheit in herausfordernden Situationen. Dies gilt für die Bereitstellung der erforderlichen Leistungen im Wasserstoffsektor und damit auch für die Versorgung der Wasserstoffkraftwerke und damit die Systemsicherheit im Stromsektor. Es zeigt sich daher ein Bedarf für die Erschließung weiterer Speicherpotenziale.

Akteursdienliche Elektrolyseursverortung führt zu hohen Nord-Süd-Transporten im Stromsektor

Aufgrund des breiten Szenariotrichters ergeben sich unterschiedlich hohe Energiebedarfe und Erzeugungsmengen. Daraus resultieren deutliche Unterschiede zwischen den Marktergebnissen. Alle Szenarien zeigen einen erhöhten Stromtransportbedarf zwischen Nord- und Süddeutschland im Vergleich zu heute, wobei Szenario C2045* aufgrund der fehlenden Koordination der Allokation flexibler Lasten – insbesondere der Elektrolyseure – den höchsten Transportbedarf aufweist. Die Wasserstoff-Transportaufgabe liegt in der Spitze für alle Szenarien in einem ähnlichen Bereich.

Der Wasserstoffsektor ist über alle Szenarien hinweg durch eine stark ausgeprägte Nord-Süd-Transportaufgabe gekennzeichnet. Das liegt an den geologischen Gegebenheiten für Salzkavernen im Norden, Importterminals an der Küste und Großexporteuren wie Norwegen auf der einen Seite und Verbrauchern im Mittel- und Süddeutschland auf der anderen Seite.

Die sektorenübergreifenden Marktergebnisse stellen die gemeinsame Grundlage für die nachgelagerten separaten Strom- und Gasnetzanalysen dar.

Fehlende Systemkoordination resultiert in hohen Netzausbaubedarfen

Für das Szenario B2037 ergeben die Stromnetzanalysen, dass das im Netzentwicklungsplan 2037/2045 (2023) vorgeschlagene Zielnetz bedarfsgerecht ist, während in den Szenarien B2045 und C2045* zusätzlicher Netzausbau erforderlich ist. Insbesondere in C2045* entsteht ein signifikanter Investitionsbedarf aufgrund der unterstellten nicht-stromnetzdienlichen Verortung von Elektrolyseuren und einer daraus resultierenden höheren Nord-Süd-Transportaufgabe. Entsprechend der Prämisse einer verzögerten Zielerreichung im Szenario A2045* zeigen die Untersuchungen, dass ein Teil der Netzausbaumaßnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich ist. Während eine Verortung der Elektrolyseure bei hohen installierten Leistungen einen Einfluss auf den Netzausbaubedarf hat, bieten die thermischen Kraftwerke durch ihre historisch gewachsene Verortung bereits ausreichende Redispatch-Potenziale zur effizienten Behebung von Engpässen im Stromnetz. Eine Verortung von neuen thermischen Kraftwerkskapazitäten, welche nicht die Gegebenheiten im Stromnetz berücksichtigt, kann allerdings einen negativen Einfluss auf das Engpassmanagement haben.

Wasserstoffkraftwerke sorgen für höchste Auslastungen des Wasserstoffnetzes

Die Gasnetzanalysen basieren auf dem Entwurf des Wasserstoff-Kernnetzes der Fernleitungsnetzbetreiber. Sie zeigen, dass die Wasserstoffkraftwerke die Haupttreiber für die Auslastung des Wasserstoffnetzes sind. Der Einsatz der Wasserstoffkraftwerke führt zu kurzfristigen, aber sehr hohen Ausspeiseleistungen des Wasserstoffnetzes, welche nur durch Wasserstoffspeicher und -importe gedeckt werden können. Dadurch reagiert das Wasserstoffnetz sensitiv auf die Verortung der Kraftwerke. Die Verortung von Elektrolyseuren spielt bei der Ermittlung der Wasserstoffnetzauslastung nur eine untergeordnete Rolle, da die maximale thermische Leistung aller Wasserstoffkraftwerke im Vergleich zu der Einspeiseleistung der Elektrolyseure in das Wasserstoffnetz zwei- bis dreimal so hoch ist. Die in den Szenarien angenommenen Leistungen und Kapazitäten der Wasserstoffspeicher erweisen sich zur alleinigen Versorgung der Kraftwerke als unterdimensioniert. Dieser Aspekt ist im Hinblick auf die Versorgungssicherheit weiterhin zu diskutieren. Das aus der EE-Einspeisung resultierende stark volatile Einsatzverhalten von Elektrolyseuren und Kraftwerken führt zu einer sehr stark fluktuierenden Nutzung von Wasserstoffspeichern und Importterminals sowie insgesamt zu sehr dynamischen Auslastungsmustern des Wasserstoffnetzes. Auch diese Wechselwirkungen sind weiterhin kritisch zu untersuchen. Die Analysen zeigen außerdem, dass Redispatch-Maßnahmen im Stromnetz keine kritischen Situationen im Wasserstoffnetz verursachen. Durch die unterschiedlichen und zeitungleichen Treiber für die Auslastung von Wasserstoff- und Stromtransportnetz ergibt sich keine wesentliche Interdependenz zwischen dem Ausbau dieser Netzinfrastrukturen.

Zusätzlicher Interkonnektorbedarf über alle Szenarien

In der Studie wird zur Ermittlung des Bedarfs an Stromleitungen, die elektrische Energie zwischen verschiedenen Marktgebieten transportieren – auch Interkonnektoren genannt –, eine Heuristik entwickelt und verwendet, die kombiniert sowohl die sektorenübergreifenden Markt- als auch die innerdeutschen Stromnetzauswirkungen des Interkonnektorzubaus berücksichtigt. Die Analysen ergeben einen Bereich von 18 bis 25 Gigawatt an Interkonnektor-Ausbaubedarf, der eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz aufweist. Es zeigt sich, dass oftmals Offshore-Interkonnektoren besonders vorteilhaft sind.

Systemkoordination und rechtzeitige Zielerreichung notwendig für klimaneutrales und kostengünstiges Gesamtsystem

Szenario B2045 weist die niedrigsten annuitätischen Gesamtsystemkosten auf. Eine verzögerte Zielerreichung (Szenario A2045*) und fehlende Systemkoordination (Szenario C2045*) führen zu höheren Kosten. Szenario A2045* zeigt die größten Betriebskosten aufgrund des teuren Imports von Brennstoffen, während Szenario C2045* aufgrund der hohen installierten Erneuerbaren und Elektrolyseleistungen geringe Wasserstoffimporte und somit niedrigere Betriebskosten zeigt. Die niedrigen Betriebskosten bei fehlender Systemkoordination wiegen allerdings die hohen Investitionskosten in Kraftwerkspark und Übertragungsnetz nicht auf.

FAZIT:

Zusammenfassend zeigt die Studie „Intersektorale Systemplanung Amprion“, dass die Integration einer sektorenübergreifenden Betrachtung in die Infrastrukturplanung sinnvoll ist, um Wechselwirkungen besser zu verstehen und zu berücksichtigen. Dabei ist ein gemeinsamer Absprungpunkt in der Form von sektorenübergreifenden Szenarien und Marktsimulationen für folgende separate Detailanalysen der einzelnen Infrastrukturen Methan/Wasserstoff und Strom am zielführendsten. Besonders die Verortung von Elektrolyseuren und Wasserstoffkraftwerken hat einen signifikanten Einfluss auf die Belastung des Stromübertragungs- und des Wasserstoff-Fernleitungsnetzes und sollte daher unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf beide Infrastrukturen intersektoral erfolgen.

Miriam Behr
Expertin Planungsszenarien & Energiemarktmodellierung
Niklas Berg
Experte Stromsystemanalyse
Lukas Beschow
Experte Stromsystemanalyse
Dr. Fabian Brinks
Experte Planungsszenarien & Energiemarktmodellierung
Dr. Jan Felinks
Experte Gassystemanalyse
Marcel Gallus
Experte Stromsystemanalyse
Dr. Stefan Grisard
Experte Planungsszenarien & Energiemarktmodellierung
Lukas Groterhorst
Experte Umfeldanalyse
Dr. Maike Hasselmann
Expertin Gassystemanalyse
Dr. Andre Hoffrichter
Experte Stromsystemanalyse
Oliver Levers
Experte Intersektorale Energiemarktmodellierung
Alexander Lindner
Experte Stromsystemanalyse
Hendrik Ohlmeyer
Experte Planungsszenarien
Alexander Peitz
Experte Energiemarktmodellierung
Miriam Sander
Expertin Planungsszenarien & Energiemarktmodellierung
Chris Vertgewall
Experte Stromsystemanalyse
Dr. Nikita Vorobiev
Experte Gassystemanalyse
Henry Hoffmann
Leiter Langfristige Netzplanung
Dr. Hendrik Natemeyer
Leiter Netzplanungsmethoden und Systemplanung

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